Jurybegründung zum Ad-Hoc-Preis 2013

Ad-hoc-Preis von Beethovenfest Bonn für die beste Stummfilm-Livemusik bei den 29. Bonner Stummfilmtagen

Die Jury hat angesichts des hohen Niveaus und der Vielgestaltigkeit der bewerteten Stummfilme und Stummfilmmusiken folgende Entscheidung getroffen: Das Preisgeld in Höhe von 2000 Euro wird geteilt und an zwei Stummfilmmusiker vergeben, deren außergewöhnliche Darbietungen gleichermaßen preiswürdig sind.

Ein Preisgeld in Höhe von 800 Euro geht für die Musik zum Film „Ehegeschichten“ an den „dienstältesten“ Stummfilmbegleiter bei den Bonner Stummfilmtagen, an Joachim Bärenz. Die Jury würdigt damit seine intelligente Art der Musikbegleitung, in der er Zitate aus allen Bereichen der Musikgeschichte in das musikalische Gewebe integriert, diese aber nicht als bloße Zitate und Anspielungen stehen lässt, sondern in einem lebendigen musikalischen und improvisatorischen Prozess bestechend vielseitig weiterverarbeitet und variiert. Kenntnisreich und kompositorisch-improvisatorisch gewandt stellte Bärenz mit einer Auswahl zentraler musikalischer Motive – welche immer ein Hauch von süsser Melancholie aber auch hintergründigem Witze umwehte – szenenübergreifende Zusammenhänge her und kommentierte das Filmgeschehen auf einer zusätzlichen Bedeutungsebene. Stilistisch passend und mit großer Aufmerksamkeit für szenische Synchronität verknüpfte er Bilder und Töne, ohne die Musik dabei zu sehr in den Vordergrund zu rücken. Mit sanfter Verbindlichkeit und besonderem Gespür für den richtigen Moment schaffte er es, das Geschehen der bewegten Bildern zu ordnen und für ein gut abgestimmtes, harmonisches Filmerlebnis zu sorgen.

Die Jury möchte mit diesem Preis auch die langjährige Verbindung von Joachim Bärenz mit den Internationalen Stummfilmtagen würdigen und sein langjähriges Engagement mit unzähligen Auftritten dankend auszeichnen.

Ein Preisgeld in Höhe von 1.200 Euro vergibt die Jury für die Musik zum Film „Das Salz von Swanetien“ an Günter A. Buchwald. Die Jury würdigt damit die musikalische Vielseitigkeit und Virtuosität, mit der Buchwald seine Instrumente Violine, Viola und Klavier abwechselnd und gleichzeitig einsetzte, um dem sowjetischen Dokumentarfilm in jedem Moment die passende Musik zu geben – vom filigranen Triller einer in der Luft liegenden Gefahr bis hin zu wuchtigen Arpeggio-Kaskaden des überraschend aufziehenden Sommerschneesturms. Besonders auszeichnen möchte die Jury die künstlerische Kreativität und den Einfallsreichtum Buchwalds, der zusätzlich im Inneren des Flügels produzierte Effekte wie Glissando und Pizzicato einsetzte sowie die Instrumente Trommel und Akkordeon nutzte, um die beklemmende Atmosphäre eines Begräbniszuges sowie in ausdrucksstarken Dissonanzklängen die quälende Not der am Salzmangel darbenden Bevölkerung zu illustrieren. Sogar die verfremdeten Klänge des präparierten Klaviers kamen in geschickter Weise zum Einsatz, um dem Film zu Anfang einen charakteristischen Klang zu geben, der in idealer Weise auf das Folgende einstimmte. Den ausdrucksstarken und teils expressionistischen Bildern mit extremen Perspektiven, Unschärfe und Nahaufnahmen sowie rasant rhythmisierten Schnittfolgen gab Buchwald den passenden Widerpart in der Musik und schuf so ein eindrucksvolles Klangerlebnis, das den Bildern voll und ganz entsprach.

Darüber hinaus würdigt die Jury Günter A. Buchwalds beeindruckende Kooperation mit Neil Brand, mit dem er auf der Violine zu den konträren Filmen „Das Feuerross“ und „Die Braut vom Daalenhof“ improvisierte und im jeweils richtigen musikalischen Idiom zwischen Saloon und Fjord, Indianergeheul und Bauerntanz den passenden Ton fand. Der Hauptpreisfilm „Das Salz von Swanetien“ mit der Livebegleitung von Günter A. Buchwald wird im Rahmen des Beethovenfestes Bonn am 26. September 2013 in der Post Tower Lounge noch einmal zu sehen sein.

Eine besondere Würdigung möchte die Jury dem tschechischen Ensemble von Andrea Rottin, Jan Procházka und Tomáš Majtán aussprechen für die Begleitung des Films „Redivivus. Der Fremde aus der Finsternis“. Das Ensemble brachte mit einer Vielzahl von Instrumenten und Mitteln wie Gesang, Pfeifen, Schnippen, einen erfrischend anderen Klang in den Arkadenhof der Universität Bonn und untermalte die Bilder des Films in fesselnder Weise. Mit schlichten Mitteln und teils in beklemmender Reduktion erzeugte das Trio vielfältige Klangstimmungen, die der Atmosphäre des Films durch und durch gerecht wurden. „Redivivus“ wurde dadurch zum außergewöhnlichen Filmerlebnis und die Musiker brachten die alten Bilder des Stummfilms mit einer adäquaten und doch modernen Musik in Einklang.

Die Jury bedankt sich ferner bei Stephen Horne, Neil Brand, Richard Siedhoff sowie Norbert Alich für ihre abwechslungsreichen und spannenden Beiträge.

Sigrid Limprecht (Bonner Kinemathek, Stummfilmtage Bonn) 
Benjamin T. Hilger (Beethovenfest Bonn, Musikwissenschaftler) 
Mogens Kragh (Komponist, Songwriter)