Filmreihe I: Die wilden 1960er – der Beginn der Gegenwart?
Wie wild waren die 1960er Jahre wirklich? An den Filmen der frühen 1960er Jahre, die im ersten Teil der Reihe gezeigt wurden, lies sich ablesen, wie Neues sich – in den Geschichten, ebenso wie im Look und in der filmischen Umsetzung – aus Konventionellem, aus dem fast sprichwörtlichen „Muff“ der Nachkriegsgesellschaft herausschälte. Die späten Sechziger waren wilder, sicher auch jetzt nur für einen Teil der Gesellschaft, sicher nicht für das DDR-Kino, in dem die Zensur wieder härter durchgriff (auch im Falle des Historienfilms Abschied von Egon Günther), aber auf jeden Fall für das Kino der BRD. Die Komödie Zur Sache, Schätzchen, die den 2. Teil der Reihe eröffnet, einer der größten kommerziellen Erfolge des Jungen Deutschen Films, bringt das Lebensgefühl der jungen Generation wie kaum ein anderer Film auf die Leinwand. Ich bin ein Elefant, Madame von Peter Zadek wirft einen heiter-satirischen Blick auf Schule in den Zeiten der 68er-Bewegung. Und mit dem Abschlussfilm der Reihe, Fassbinders Katzelmacher, beginnt die Karriere des – auch weltweit (bis nach Japan!) – bekanntesten und kontroversesten Regisseurs der alten Bundesrepublik.
Montag, 19.12.2016 20.30 Uhr

Katzelmacher BRD 1969 / R: Rainer Werner Fassbinder / B: Rainer Werner Fassbinder nach seinem gleichnamigen Theaterstück / K: Dietrich Lohmann / M: Peer Raben / D: Hanna Schygulla, Irm Hermann, Harry Baer, Rainer Werner Fassbinder / F: 35 mm, s/w / L: 88 Min.
In diesem frühen Film Fassbinders dreht sich die Handlung, wie in vielen seiner Filme und Stücke, um einen Außenseiter der Gesellschaft. In Katzelmacher ist dieser Außenseiter der von Fassbinder selber gespielte griechische Gastarbeiter Jorgos. Auf der einen Seite gibt es eine in sich geschlossene Gruppe kleinbürgerlicher junger Erwachsener deutscher Herkunft, die in ihrer Freizeit gemeinsam abhängen, sich gemeinsam langweilen, gemeinsam trinken und die durch diverse Beziehungskonstellationen und Abhängigkeiten aneinander gebunden sind. Das – durchaus konfliktreiche – Gefüge dieser Gruppe gerät durch das Auftreten des dazukommenden ‘Fremden’ ins Wanken. Der in meist statischen Einstellungen gedrehte Film, mit sehr pointierten Dialogen in einem von Fassbinder kreierten Kunst-Bayrisch, wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet und begründete die internationale Karriere des Regisseurs.
Der Stadtstreicher (Vorfilm) BRD 1966 / R, B: Rainer Werner Fassbinder / K: Josef Jung / M: Georg Friedrich Händel, Juventino Rosas / D: Christoph Roser, Michael Fengler, Irm Hermann, Rainer Werner Fassbinder / F: 35 mm, s/w / L: 10 Min.
In seinem ersten erhaltenen Kurzfilm inszeniert Fassbinder gewissermaßen seinen filmischen Basisplot: Ein sozialer Außenseiter findet eine Pistole …
Montag, 19.9.2016 20.30 Uhr

Zur Sache, Schätzchen BRD 1968 / R: May Spils / B: May Spils, Rüdiger Leberecht, Werner Enke / K: Klaus König / M: Kristian Schultze / P: Peter Schamoni / D: Werner Enke, Uschi Glas, Henry van Lyck, Helmut Brasch, Inge Marschall / F: 35 mm, s/w / L: 80 Min.
Während die Nouvelle Vague etwa mit Godards À bout de souffle und Bande à part einige Filme hervorbrachte, die bei Kritik und Publikum gleichermaßen gut ankamen, gelangen dem Jungen Deutschen Film zunächst keine vergleichbaren Erfolge. Erst mit der – deutlich von den beiden genannten Godard-Filmen inspirierten – Komödie Zur Sache, Schätzchen der Regisseurin May Spils konnte er 1968 auch eine breitere Öffentlichkeit überzeugen. Im Zentrum des wegen seiner kultigen Dialoge legendären Films steht eine antibürgerliche Schwabinger Jugend, repräsentiert durch den jegliche Arbeit strikt vermeidenden Martin und seine neue Bekanntschaft Barbara. Wenn Zur Sache, Schätzchen das Lebensgefühl von Teilen der Jugend am Vorabend der 1968er-Revolte gut verkörperte, bleibt seine Infragestellung bürgerlicher Arbeitsmoral durchaus aktuell. Spielerisch leicht, ironisch, aber auch nicht ohne Melancholie ist er „einer der wenigen wirklich unterhaltsamen Autorenfilme“ (Lexikon des Internationalen Films).
Wochenschau 1968
Beat – Made in Germany BRD 1966 / R: Hansjürgen Hilgert, Hans-Hermann Köper, Gerhard Schmidt / K: Lucas Maria Böhmer / F: 35 mm, s/w / L: 12 Min. (Vorprogramm)
Eine Wochenschau und ein ironisch-satirischer Kurzdokumentarfilm – als Hommage an die in den 1960ern üblichen Vorprogramme.
Montag, 17.10.2016 20.30 Uhr

Abschied DDR 1968 / R: Egon Günther / B: Egon Günther, Günter Kunert nach dem gleichnamigen Roman von Johannes R. Becher / K: Günter Marczinkowsky / M: Paul Dessau / D: Jan Spitzer, Rolf Ludwig, Katharina Lind, Klaus Hecke, Heidemarie Wenzel, Manfred Krug / F: 35 mm, s/w / L: 107 Min.
Die zweite Hälfte der 1960er Jahre war in der DDR, zumindest was den Film anlangt, keine Zeit des Aufbruchs. Der Roman Abschied, ein teilweise autobiographischer Roman des ‘DDR-Nationaldichters’ Johannes R. Becher konnte zwar als vergleichsweise unproblematischer Filmstoff gelten. Dennoch geriet die Verfilmung von Egon Günther 1968 schon bei ihrer Premiere in die Mühlen der Zensur und wurde nach wenigen Wochen aus den Kinos genommen. Der Film kann als eine Art DDR-Pendant zu Der junge Törless (1966) von Volker Schlöndorff gesehen werden. Wie dieser inszeniert er formal anspruchsvoll und mit subtilen Aktualisierungen eine Jugend am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Reaktionärer Zeitgeist wird bedrückend eingefangen, verkörpert durch den militaristischen Staatsanwalt Gastl. Dessen Sohn Hans nimmt zwangsläufig eine Haltung der Revolte ein, die ihn zunächst die Gesellschaft schulischer Versager und Querulanten und dann das Bohèmeleben expressionistischer Lyriker suchen lässt. Zuletzt erkennt Hans den Kommunismus als verheißungsvolle Alternative zu jenem bürgerlich-imperialistischen Europa, das gerade voller Enthusiasmus in den Krieg aufbricht.
Montag, 21.11.2016 20.30 Uhr

Ich bin ein Elefant, Madame BRD 1969 / R: Peter Zadek / B: Robert Muller, Wolfgang Menge, Peter Zadek nach dem Roman Die Unberatenen von Thomas Valentin / K: Gérard Vandenberg / D: Wolfgang Schneider, Günther Lüders, Margot Trooger, Heinz Baumann, Tankred Dorst, Ilja Richter / F: 35 mm, Farbe / L: 100 Min.
Peter Zadek ist in erster Linie als Theaterregisseur bekannt, seit 1962 war er am Bremer Schauspielhaus engagiert. Der Film Ich bin ein Elefant, Madame war eine von wenigen Regiearbeiten Peter Zadeks für den Film. Er spielt an einem Bremer Gymnasium, an dem die Schüler sich, mit dem Schüler Rull als Wortführer, gegen die verkrusteten, autoritären Strukturen der Schule auflehnen. Zadek, der für seine avantgardistischen, teilweise radikalen Regiearbeiten fürs Theater bekannt war, ist auch in diesem Film nicht zimperlich. Die Revolte der Schüler gipfelt in einer riesigen Hakenkreuzschmiererei durch Rull im Zentrum von Bremen. Diese Aktion sorgte auch bei der Bremer Bevölkerung für heftigste Proteste, was von der Kamera festgehalten wurde und auch Eingang in den Film gefunden hat. Hier zeigt sich, wie nah Zadek mit seinem Film an der realen gesellschaftlichen Verfasstheit jener Zeit war.