
Timecode USA 2000 / R, B, P: Mike Figgis / K: Patrick Alexander Stewart / D: Stellan Skarsgård, Jeanne Tripplehorn, Salma Hayek / F: 35 mm, OV / L: 97 Min.
Splitscreen-Verfahren wurden schon in der Stummfilmzeit eingesetzt, um gleichzeitige Handlungen – zum Beispiel zwei miteinander telefonierende Personen – in einem Bild zu zeigen. Was aber, wenn man dieses Verfahren auf einen ganzen Film übertrüge? Mike Figgis hat mit Timecode einen solchen experimentellen Film geschaffen, der mit der alten analogen Aufnahmetechnik nicht realisierbar gewesen wäre: Im Splitscreen-Verfahren sind permanent vier Bilder gleichzeitig auf der Leinwand zu sehen, die vier miteinander verwobene Handlungsstränge zeigen, die jeweils in Echtzeit ohne Filmschnitte mit Digitalkameras aufgenommen worden sind. Darsteller können dabei von einem Handlungsstrang in einen anderen wechseln, einzelne Ereignisse finden übergreifend in allen vier Segmenten gleichzeitig statt. Für den Kinozuschauer ist dies eine neue Erfahrung, da er sich selber aussuchen kann, welchem Handlungsstrang er in jedem Moment folgen will, einzig dadurch gelenkt, dass jeweils der Ton eines Handlungsstranges hervorgehoben ist. Die Handlung selbst ist bewusst trivial: Karriere, Eifersucht, Sex und Mord im Umkreis einer Filmproduktionsfirma in Los Angeles. Der digital aufgenommene Film wurde auf analoges 35mm-Filmmaterial ausbelichtet, um mit der Kinotechnik der Zeit gezeigt werden zu können.
Dienstag, 10.11. 18.30 Uhr: Innovatives Erzählen 8 (1990-1999)

Smoking / No Smoking Frankreich 1993 / R: Alain Resnais / B: Adaption von Jean-Pierre Bacri und Agnès Jaoui nach dem Bühnenstück Intimate Exchanges von Alan Ayckbourn / K: Renato Berta / D: Sabine Azéma und Pierre Arditi / F: 35 mm, OmU / L: 140 Min. (Smoking), 145 Min. (No Smoking)
10.11. Doppelprogramm: 18.30 Uhr No Smoking , 21.15 Uhr Smoking . Zwischendurch servieren wir britischen Tee & Gebäck. Die Filme können als Doppelprogramm oder einzeln gesehen werden. 9.11. Einzelvorstellung: 18.30 Uhr Smoking.
Kann die Entscheidung, sich eine Zigarette anzuzünden, unser Leben verändern? Diese Frage ist bei Resnais und dem bekannten englischen Dramatiker Ayckbourn der Ausgangspunkt für ein Spiel mit Handlungsalternativen, die sich aus den „Hauptstämmen“ des Rauchens oder Nicht-Rauchens zu vielfältigen Parallelhandlungen verästeln – fast wie eine filmische Analogie zur Handlungsstruktur eines Computerspiels. Alain Resnais, der nach Anfängen als Cutter zunächst Dokumentar-, dann seit Ende der 1950er Jahre Spielfilme drehte (darunter Klassiker wie Hiroshima, mon amour) blieb – ähnlich wie seine Generationsgenossen Godard und Rohmer – bis ins hohe Alter ein prägender, immer wieder überraschender, innovativer Regisseur. Abwechslung war eine seiner Devisen, das Durchspielen ungewöhnlicher Erzählprämissen, die Freude an Theater, Fiktion, Künstlichkeit. Und so werden in den komplett im Studio (aber mit echtem englischen Möwengeschrei) gedrehten Filmen Smoking und No Smoking alle Rollen von nur zwei Schauspielern verkörpert. Was philosophisch-schwer oder formalistisch-anstrengend hätte werden können, ist bei Resnais vergnüglich, leicht wie ein Boulevard-Stück, unterhaltsam wie eine TV-Soap.
Dienstag, 13.10.2015 19 Uhr: Innovatives Erzählen 7 (1980-1989)

Drowning by Numbers (Verschwörung der Frauen) Großbritannien 1988 / R, B: Peter Greenaway / K: Sacha Vierny / M: Michael Nyman / D: Joan Plowright, Juliet Stevenson, Joely Richardson, Bernard Hill / F: 35 mm, DF / L: 118 Min.
Die drei gleichnamigen Frauen Cissie Colpitts haben Pech mit ihren Männern. Und diese mit ihnen, denn Madgett, der Leichenbeschauer des Ortes, steht auf der Seite der Frauen, die sich nicht länger mit den Fehlern ihrer Gatten abfinden möchten …
Handlung kann als eine bestimmten Konventionen folgende Ordnung von Ereignissen angesehen werden – und steht insofern in Konkurrenz zu anderen Ordnungssystemen. Peter Greenaway, der nach einem Studium der Malerei und einer Tätigkeit als Cutter seit Ende der 1960er Jahre experimentelle Kurzfilme, dann seit den 1980er Jahren auch Spielfilme gedreht hat, hat immer wieder mit derartigen alternativen Ordnungssystemen experimentiert. So strukturieren den Film Drowning by Numbers neben seiner Krimihandlung auch eine Zahlenreihe von 1 bis 100, eine Folge von Spielen, und – wie meist bei Greenaway – gibt es zahlreiche Verweise auf europäische Malerei als weitere Interpretations- und Strukturrahmen. In seiner geschickten Verbindung von Unterhaltung und Experiment stellt dieses „ironic game of games, riddles and death“ (P.G.) einen Höhepunkt von Greenaways Filmschaffen dar.
Dienstag, 8.9.2015 19 Uhr: Innovatives Erzählen 6 (1970-1979)
Eraserhead USA 1977 // Regie, Buch, Produktion, Schnitt: David Lynch // Sound Design: David Lynch und Alan Splet // Kamera: Frederick Elmes und Herbert Cardwell // Darsteller/innen: Jack Nance, Charlotte Stewart // Fassung: 35 mm, OV, Dolby Stereo (Wiederaufführungsversion) // Länge: 89 Min.
Der Schwarzweißfilm beginnt mit einer Szenerie, die an einen postapokalyptischen Science-Fiction-Film denken lässt. Im Laufe des Geschehens schält sich dann aber eher ein Beziehungsdrama aus einer Geschichte mit phantastischen, surrealen und Horrorelementen heraus. Versuche, den Film einem bekannten Genre zuzuordnen, scheitern schnell. Es gibt skurrile und absurd komische Sequenzen, hier und da ist man an das Absurde Theater eines Beckett oder Ionesco erinnert. Eraserhead ist der erste Langfilm David Lynchs, der im Folgenden mit Filmen wie Wild at Heart, Lost Highway oder der Kultserie Twin Peaks berühmt wurde und sich inzwischen in den verschiedensten Medien als Künstler einen Namen gemacht hat. Lynch ist nicht nur verantwortlich für Regie, Buch, Schnitt und Produktion des Films, sondern auch Art Director und zusammen mit Alan Splet zuständig für das Sound Design und hat damit – als Autorenfilmer reinsten Wassers – eine nahezu komplette Kontrolle über seinen Film. Vielleicht ist das der Grund, warum Eraserhead bei aller Rätselhaftigkeit und Offenheit letztendlich doch so schlüssig wirkt und von manchem Kritiker als Lynchs beste Arbeit angesehen wird.